Beim Durchblättern eines Küchenratgebers und Kochbuchs aus dem Jahre 1954 bin ich auf folgende Zeilen gestoßen:
„…Ich will nicht nur einen ordentlichen Haushalt, saubere Wäsche, pünktliche Mahlzeiten zustandebringen, sondern all dies meinen Leuten zuliebe tun… Jede Mahlzeit könnte eine heimliche Liebeserklärung sein. Aus dem von mir gekochtem Essen liest der Mann den Grad meiner Zuneigung ab… Es werden viele Gründe für das Auseinanderfallen der Familien genannt. Werden wir Hausfrauen bei solchen Untersuchungen nicht zu sehr geschont? Wenn wir nicht mehr für die gemütliche entspannte Gemeinsamkeit des Familientisches sorgen, wie sollen dann die Kinder im Familienboden einwurzeln?…“ (aus: „Meine Küche und Ich“ von Liselotte Hold, Hilde Lehmann, Laetare Verlag, Nürnberg 1954)
Können wir uns diese Zitate in einem Ratgeber der heutigen Zeit vorstellen – wohl kaum. Spontan belächeln wir die Zeilen. Aber bei längerem Nachdenken über die „gute alte Zeit“ macht sich vielleicht ein wenig Sehnsucht breit.
Ist der Familientisch noch Dreh- und Angelpunkt in unserem Alltag? Gibt es noch die gemeinsame Familienzeit am Mittags- oder Abendbrottisch, in der miteinander geredet werden kann?
Unsere Essgewohnheiten haben sich im Laufe der vergangenen Jahrzehnte spürbar verändert. In der Generation unserer Großmütter oder vielleicht auch Mütter fanden die Mahlzeiten zu regelmäßig wiederkehrenden Zeiten statt. Die traditionelle Tischgemeinschaft hatte einen hohen Stellenwert.

Die Frauen bereiteten die Nahrung zu, sie waren verantwortlich für die Auswahl und Zubereitung aber auch für die Vorratshaltung. Sie richteten sich bei der Zubereitung hauptsächlich nach den Vorlieben der Männer. Die von der Ehefrau zubereitete Speise war Zeichen ihrer Liebe und Fürsorge für die Familie.
Der Familientisch war sowohl Ort für Gespräche als auch für Erziehung. Durch regelmäßige gemeinsame Mahlzeiten konnten Kinder in eine soziale Ordnung hineinwachsen, die ihnen Sicherheit und Geborgenheit gab. Heute löst diese traditionelle Tischgemeinschaft sich weitgehend auf. Gemeinsame Mahlzeiten mit der ganzen Familie scheinen an Bedeutung immer mehr zu verlieren.
Termine prägen den Alltag
Der Alltag der Familienmitglieder ist geprägt von Terminen durch Beruf, Schule, Sport und Freizeit. Klavierstunde um zwei, Basketballtraining von sechs bis acht und der Vater kommt erst gegen neun, weil er noch eine wichtige Besprechung hat. Bleiben nur Mutter und Tochter und da lohnt es sich kaum, den Tisch zu decken. Es reicht vielleicht ein kleiner Snack im Stehen oder vor dem Fernseher.
Bringdienste wie Pizzaservice, Drive-in-Restaurants, Convenience Food oder küchentechnische Errungenschaften wie die Mikrowelle ermöglichen es heute jedem Familienmitglied, sich schnell und unabhängig vom Familientisch eine Mahlzeit zuzubereiten und einzunehmen.
Selbst ein zehnjähriger Grundschüler ist heute in der Lage, sich mit einem Fertiggericht zubereitet im Backofen oder in der Mikrowelle zu versorgen. Wie oft stillen wir unseren Hunger einfach im Vorübergehen, beim Einkaufen oder auf dem Gehweg?
Hektik ist der Feind guten Essens
Die Folge: wir essen zu schnell, zu viel, zu süß, zu fett und der sinnliche Genuss bleibt auf der Strecke. Unsere Ernährungskultur gerät aus der Balance.
Die Hektik des Alltags wird mehr und mehr zum Feind des guten Essens.
Wer hat noch die Zeit, in Ruhe Rezepte zu studieren, auf dem Markt frische Zutaten einzukaufen, um anschließend ein köstliches Mahl zu kreieren und zu genießen?
Wir können und wir wollen sicherlich nicht am Rad der Zeit drehen.
Aber sollten wir nicht versuchen in der heutigen, modernen Gesellschaft Grundlagen für ein gesundes Essverhalten zu legen? Empfehlungen über die richtige Nahrungszusammensetzung allein reichen nicht aus.
Die stetig steigende Zahl der Essgestörten zeigt, dass Essen nicht einfach nur der Nahrungsaufnahme dient, sondern tief mit unserem Selbstwertgefühl verknüpft ist. Für ein gutes Essen muss man etwas Kostbares investieren – Zeit. Doch keine Angst, diese Zeit ist nicht vergeudet sondern in dieser Zeit erfahren wir ein hohes Maß an Lebensfreude.
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Sehr informativer Beitrag, vielen Dank